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Der Motor des Wandels ... wohnt nicht den Werken inne, sondern dem für alle Felder der Kulturproduktion konstitutiven Gegensatz zwischen Orthodoxie und Häresie.
Pierre Bourdieu in: Die Regeln der Kunst
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Als ich diesen Text zu schreiben begann, war ich noch geneigt anzunehmen, der Begriff der Subversivität könne in Betrachtungen über gegenwärtige Kunstmusik eine gewisse ernstzunehmende Rolle spielen. Nach Beenden dieses Texts halte ich den Begriff für eine komplette Fehlbesetzung. Nicht zu bestreiten ist allerdings, dass er sowohl als motivierende Fiktion als auch als geschäftstüchtige Prätention gute Dienste leistet.
Nimmt man den Begriff der Subversion ernst, beschreibt er ein auf nichts Geringeres als den Umsturz der bestehenden Ordnung gerichtetes Agieren — eine intentionale vertikale Bewegung. Für das Vorhandensein subversiver Intentionen sind weder die Realisation selbst noch die Chancen für eine solche relevant. Entscheidend für subversiv verstandenes Handeln ist die tatsächliche oder konstruierte Existenz einer zu stürzenden Macht, zu welcher sich das Subversive in klandestin oppositionellen Bezug setzt. Ein wesentlicher Aspekt des Subversiven ist das Wirken im Verborgenen, das die Subversion von offeneren Formen des Widerstands unterscheidet.
Im Bereich der an sich averbalen Künste taucht der subversive Begriff vor allem als Deklaration auf: in Form von verbalen Erklärungen künstlerischer Ambitionen durch den Künstler selbst und im Kontext exegetischer Legitimations- und Evaluationsdiskurse.
Die Unterscheidung zwischen Intentionen und Interpretationen, also zwischen erklärter und zugeschriebener Absicht, wird durch den genannten Umstand erschwert, dass zur Natur des Subversiven seine Verborgenheit gehört — eine Tatsache, die wiederum der interpretierenden Zusprechung subversiver Aspekte Tür und Tor öffnet. Dennoch scheint mir die Distinkion zwischen Motivationsmodell und Deutungsmuster sinnvoll, wenn ich einen kleinen subversiven Spaziergang durch unser musikalisches Feld unternehmen möchte — durch jenes Feld also, das sich selbst salopp und etwas nichtssagend mal als Neue, mal als Zeitgenössische, mal als Aktuelle Musik bezeichnet (meinen weniger schwammigen Alternativvorschlag Gegenwärtige Europäische Kunstmusik werde ich an anderer Stelle erläutern müssen, weshalb ich vorerst bei der eingeführten Vokabel Neue Musik bleibe).
Schon im verbalen Lärm des öffentlichen Kulturrummels wird der Begriff des Subversiven selten pejorativ verwendet. Da es zu den immer deutlicher werdenden Eigenschaften unserer Staatsform des Lobbyismus gehört, sich medial und kulturell demokratisch zu camouflieren, finden wir das Subversive auf den Selbstverständigungsbühnen der größeren Öffentlichkeit gewissermaßen flachgelegt wieder — als eine probate Form der horizontalen Distinktionsattitude. Von diesen Bühnen soll hier jedoch nicht die Rede sein. Auch für unser Feld gilt indessen, dass jene offen zu Markte getragene umstürzlerische Intention aufgrund eben dieser Unverhohlenheit per definitionem keine Subversion ist. Insofern müssen all die weit verbreiteten, oft lautstarken Postulate des Subversiven auf allen Etagen zwischen Sub- und Hochkultur entweder (in Einzelfällen) als fruchtbare, wenngleich terminologisch inkorrekte Sinnkonstruktionen betrachtet werden — oder (in den meisten Fällen) schlicht als Marketingkonzept.
Das postuliert Subversive sollte Misstrauen wecken.
Was hingegen die persönliche Suche nach einer subversiven Ästhetik betrifft, so kann sich diese durchaus als fruchtbar erweisen, insofern sie die im vorangestellten Zitat angedeuteten Spannungen schafft, welche wiederum ästhetische Überlegungen freizusetzen vermögen, die zu persönlichen und vielschichtigen Kunstwerken führen können. Eine Garantie hierfür bietet die subversive Intention natürlich ebensowenig wie irgend eine andere an die Kunst selbst herangetragene Absicht.
Auf der Ebene der individuellen künstlerischen Motivation handelt es sich bei der intentionalen gesellschaftlichen Subversivität wohl meist um eine Spielart der Suche nach einer über das bloße Schaffen von Kunstwerken hinausweisenden raison d’être — was für das Kunstwerk selbst freilich nur von Belang ist, wenn sich die besondere Qualität desselben nicht schon in seiner subversiven Absicht erschöpft. Denn die Hauptgefahr dieses Vorgehens liegt auf der Hand und ist mit dem Wörtchen „bloß“ schon angedeutet: dass es sich bei dem Resultat solcher Bemühungen eher um einen instrumentierten gesellschaftstheoretischen Appell als um ein Kunstwerk handeln könnte.
Über die Ausbeutung politischer Themen für die Entstehung von Kunstwerken schrieb Karl-Heinz Bohrer in einem Essay über das Verhältnis der Literatur zur Kriegsthematik:
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„Seit Beginn der europäischen Literatur, von Homer bis in die Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg, gewannen Literatur und die Künste generell aus der Kriegsthematik eine gewaltige Energie, ein spezifisches Phantasma. Mit dem Sujet Krieg ist die für alle ästhetische Phantasie entscheidende Kategorie der Intensität angemeldet. So sichert die Kriegsthematik ähnlich der Liebesthematik ihrer Inszenierung und Rhetorik extreme Gefühlszustände diverser Natur, die man seit Aristoteles als „Leidenschaften“ diskutiert. Der Begriff der Intensität soll aber an die Stelle der aristotelischen Erklärung der Tragödie, die auf eine heilende Katharsis hinausläuft, treten. Dabei kann Nietzsches Erklärung helfen, die Tragödie sei als ein theatralisches Ereignis ein „Tonicum“ in sich selbst, solle also nicht über eine reinigende Funktion erklärt werden. Ebenso wäre die emotionserregende Wirkung der Kriegsthematik als ein autonomes Phänomen anzusehen und nicht über die moralisch-kulturkritische Funktion zu erklären.
Karl-Heinz Bohrer in: Kriegsgewinnler. Homer, Shakespeare, Kleist
in: Merkur, Nr. 1, Januar 2004; zit. nach: Karl-Heinz Bohrer, Imaginationen des Bösen. Zur Begründung einer ästhetischen Kategorie, München/Wien, 2004, S. 215f.
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Die Frage, zu welcher Bohrer im Anschluss gelangt, formuliert meines Erachtens auch das zentrale Problem der in diesem Heft aufgeworfenen Frage nach dem Subversiven in der Neuen Musik:
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„Was gewinnt die Literatur ... literarisch aus der Kriegsthematik?“
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– umformuliert für unser Thema: Was gewinnt die Musik musikalisch aus der Subversivitätsthematik?
Daraus folgt notwendigerweise die Frage, ob das Subversivitätsthema als solches überhaupt über ein ähnlich fruchtbares Maß an ästhetischem Potential verfügt wie das von Bohrer genannte.
Weil ich starke Zweifel an der politpädagogischen Kraft von Kunstmusik hege, halte ich Manifestationen diesbezüglicher Ambitionen in ihr für zweitrangig. Dennoch lehne ich es ab, Verweigerungen hinsichtlich der häufig erhobenen Forderung nach dem Verkünden dilettantischer politischer Heilsbotschaften als Indiz gesellschaftlicher Indifferenz zu interpretieren.
Das aber (eben auch neuemusik-)journalistisch so Verlockende an vagen Etikettvokabeln wie der des Subversiven ist die Austauschbarkeit der Objekte an die sie geheftet werden können. Es bedarf lediglich der Konstruktion eines Feindbildes der Macht, gegen welche sich das Subversive zu richten habe. Und es ist für die erfolgreiche textproduzierende Ausbeutung dieser Figur recht einerlei, ob es sich — im Falle unseres Feldes — bei dem zurechtgezimmerten Feindbild der Macht um „die Hörgewohnheiten“, um „den traditionellen Werkbegriff“ oder bloß um „die mit der Regression des als Musik Geltenden einhergehende Paralyse des ästhetisch-kompositionstheoretischen Diskurses zugunsten eines entintellektualisierten Aktivismus nach Maßgabe pekuniär-machtpolitischer Kräfteverhältnisse ohne Korrektive öffentlicher Kunstkritik – unbeschadet der subkutanen Kontinuierung der musikalischen Eigenlogik“ (Claus-Steffen Mahnkopf) handelt. Gerade zum erstgenannten Feindbild bleibt zu vermerken, dass diese subversiv zu unterlaufenden, selbstverständlich stets als besonders konventionssüchtig zu denkenden Hör-Erwartungen unter den tatsächlichen Empfängern dieser erzieherischen Anstrengung immer unterschiedlicher ausfallen. Hinzu kommt der Umstand, dass in aller Regel mit den Ergebnissen dieser subversiven Intentionen sowieso nur Gemeindemitglieder konfrontiert werden, gegen die sich der feindselige Impuls eigentlich gar nicht richtet.
Allerdings ist die Entstehung eines Kunstwerks, auch ein den Werkbegriff noch so radikal in Frage stellendes, zwangsläufig an die Notwendigkeit gebunden, persönliche ästhetische Entscheidungen zu treffen. Meines Erachtens sind es zunächst die Kraft und der Mut zu persönlichen Setzungen, neben deren Prägnanz und Originalität, die ein Kunstwerk ästhetisch bemerkenswert machen.
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In der Welt nach der Gnade war die Kunst das Asyl der übriggebliebenen Ausnahmen. Sie war ein Feld im abendlichen Himmel, in dem von Zeit zu Zeit ein tanzender Stern aufging. Wen wundert es..., wenn die entschlossen vorrückende Einheitskultur, die nur noch beliebige Differenzen vor dem Hintergrund von Ununterschiedenheiten gelten lassen kann, jetzt Anstalten trifft für ihre nächsten Schläge in dem unbefristeten finalen Feldzug gegen das Außerordentliche? ...
Peter Sloterdijk in: Die Verachtung der Massen, Frankfurt am Main, 2000, S. 94
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Freilich müsste für das Feld der Gegenwärtigen Europäischen Kunstmusik, welchem ich meine musikalischen Bemühungen zurechnen würde, noch hinzugefügt werden, dass ein gewisser Anspruch an die Differenziertheit ihrer Mittel und das Maß an Einfallsreichtum, Vielschichtigkeit und struktureller Komplexität in der Musik selbst manifest werden sollte, auch wenn die nähere Begründung dieser Maximen den Rahmen dieses Textes leider ebenfalls sprengen würde.
Nun ist unserem musikalischen Feld der Sezessionsgedanke spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger freiwillig zur Daseinsgrundlage und Legitimation geworden. Aus dem Zeitpunkt der Entstehung dieses Feldes ist wohl auch seine Neigung zur Anbetung des Konsequenten und Radikalen zu erklären, welche offenbar dazu verführt, bei der Vermittlung seiner Werke auf allzu große und extreme Vokabeln zurückzugreifen — wie eben auf die der Subversivität. Bemerkenswert bleibt immerhin, dass es sich um einen fast ausschließlich staatlich finanzierten Kunstmarkt handelt — also gewissermaßen um eine subventionierte Subversivität. Aber schließlich ist auch dieser Gesellschaft „der Nachweis wichtig, dass die Freiheit, Nein zu sagen, ... nicht ausgestorben ist.“ (Ernst Jünger: Der Waldgang) Ursprünglich suchte und fand diese Sezession ihre Begründung aber im Kern ihres Gegenstandes: im Insistieren auf einem kunstinternen Anspruch angesichts der Industrialisierung der ästhetischen Produktion und dem daraus resultierenden gesellschaftlichen Aufstieg des Epigonentums.
Der Begriff der Subversivität ist mir in der Substanz zu dualistisch und in der Form zu dramatisch, um für unser Feld ernsthaft in Betracht zu kommen. Der Begriff der Sezession scheint mir erheblich geeigneter dafür zu sein, eine Konstitutive unseres Kunstfeldes zu beschreiben. Dass geistige Freiheit, oder bescheidener formuliert: intellektuelle und ästhetische Souveränität allzu häufig zum Vorwurf der Häresie führt, ist eine Konstante der europäischen Kulturgeschichte. Dieser Vorwurf sagt, wie man längst weiß, ebensowenig über die Qualität des Kunstwerks als solches aus, wie der Vorwurf der Orthodoxie.
Auch dem Sezessionsgedanken wohnt natürlich die Gefahr sektiererischer Verhärtung inne: verschworene Gemeinschaften, die ein invertiertes Abbild dessen bieten, wogegen sich ihre Intention richtet. Phänomene der Spannung zwischen Orthodoxie und Häresie gibt es auf allen Ebenen. Und kleinere, allzu stark auf die Sezession selbst konzentrierte Logen neigen dazu, besonders orthodox zu werden. Deswegen bleibt für das ästhetische Zonenrandgebiet der Neuen Musik zu hoffen, dass auch sein internes Ringen um die Distinktionskompetenz zwischen Orthodoxie und Häresie lebendig bleibe – als Motor des Wandels im eingangs zitierten Sinne.
Allzu mächtige ästhetische Orthodoxien befördern fade akustische Uniformität. Und bornierte Fixiertheit auf den Subversionsgedanken mit dem Feindbild Hörgewohnheiten führt in aller Regel zu unbarmherziger didaktischer Penetranz. Dann versammeln sich konspirative Kongregationen in Huldigungsfeiern an die Dürftigkeit und applaudieren linientreu sorgsam von jedem Anspruch auf akustische Vielschichtigkeit befreiten Hörübungen, deren sonderpädagogische Aufgabenstellungen an den Komplexitätsanspruch esoterischen Meditationsgesäusels heranreichen („wir erleben das halbstündige, völlig lineare Aufwärtsglissando eines Geigentons“).
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Es ist nicht die Selbstbefriedigung als solche, die sich hier das Prädikat verächtlich verdient hat; Verächtlichkeit ist die allzu befriedigt zur Schau gestellte Beschränktheit in der Selbstbefriedigung.
Peter Sloterdijk in: Die Verachtung der Massen, a.a.O., S. 55
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Das Insistieren auf der Forderung nach ästhetischer Unverlogenheit und nach Mut zur persönlichen, keinem Gemeindevorstand verpflichteten Setzung scheint mir auch angesichts von Studentenkonzerten immer dringlicher, die den Verdacht nähren, es könne etwas dran sein am Bild von der Vorherrschaft einer stagnationsfördernden Allianz von Lobbies des Epigonentums und Funktionären der wortreich verhüllten ästhetischen Ratlosigkeit.
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Ich sehe in all dem Spuren eines immer selbstsicherer werdenden Hasses gegen die Ausnahme, die noch eine Ausnahme im älteren Sinne darstellt, Spuren eines Grolls gegen das, was in seiner Art nie zu ersetzen sein wird und was man eben darum erst recht so rasch und würdelos wie möglich ersetzen will – weil nur das Austauschbare die Norm der Indifferenz erfüllt...
Peter Sloterdijk in: Die Verachtung der Massen, a.a.O., S. 94
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Aus dem fast ein wenig unbeherrschten Ton meines letzten Absatzes ist leicht herauszulesen, dass ich mit meinem Zweifel am Sinn des Subersivitätsbegriff nicht im geringsten ausgedrückt habe, dass ich nicht gerade in unserem Feld vieles für bedenklich und veränderungsbedürftig halte. Wenn ich glauben könnte, dass sich hierfür Strategien der Subversion eigneten, wäre ich für ihre sofortige Anwendung. Vielleicht wird ja aber der subversionstypischen Camouflage schon Genüge getan, in unserer harthörigen Zeit, wenn das auf Veränderung gerichtete Agieren auf originär musikalisches Gebiet verlegt wird.
Allein die konsequente Weiterverfolgung des Sezessionsgedankens bis auf die individuelle Ebene halte ich für ein einigermaßen sicheres Verfahren, den beschriebenen Verhärtungs- und Verödungsgefahren zu entgehen.
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Kultur in dem normativen Sinn an den zu erinnern nötig ist wie nie zuvor, umfasst den Inbegriff von Versuchen, die Masse in uns selber herauszufordern, sich gegen sich selbst zu entscheiden. Sie ist eine Differenz zum Besseren, die es, wie alle relevanten Unterscheidungen, nur gibt, sooft und solange sie gemacht wird.
Peter Sloterdijk in: Die Verachtung der Massen, a.a.O., S. 95
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Diese Differenz zum Besseren muss in unserm Feld zuallererst in der Musik selbst gesucht werden. Das wiederum scheint eine so wenig kontroverse, keinerlei konspirativer oder gar subversiver Verschwiegenheit bedürfende Ansicht zu sein, dass ich mit ihr meinen kleinen Spaziergang beenden möchte.
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